Im Rahmen des 10. Herbstkongresses 2012 des Berlin-Brandenburger Landesvereins MNU gab es einen Vortrag des rund 10 köpfigen Teams des Projektes „Technology Enhanced Textbook“ (‚TET‘) mit dem Titel: „Physik mit Smartphone und Tablet“. Dieser Kongress gilt als Fortbildung für Lehrkräfte in Berlin/Brandenburg. Dem Projekt „TET“ stehen der Pressemeldung der Freien Universität Berlin zufolge 1,4 Millionen Euro zur Verfügung; das Projekt läuft seit Oktober 2010 und möchte laut eigener Beschreibung, „… einen Beitrag zur naturwissenschaftlich-technischen Bildung leisten“. Dafür werden „Demonstratoren“ erstellt.
Unser besonderes Augenmerk findet dieses Projekt immer wieder, da nach persönlichem Bekunden eines der Projektleiter Grundlagen des Projektantrages von TET auf das Vorläuferprojekt „RiMeS“ zurückgehen (s. Referenz hier). Darauf wird in Publikationen des Projektes allerdings nicht personenbezogen eingegangen, obwohl der Ursprung entsprechender Konzepttexte sich zweifelsfrei belegen ließe […].
Das sind die Kerninformationen.
Bevor der eigentliche Bericht beginnt, sei darauf hingeweisen, dass der Vortrag nicht ausdrücklich als Statusbericht des Projektes angekündigt war. Vielleicht gibt es Projektergebnisse, die zur Zeit nicht gezeigt werden. Es war aber wie-auch-immer eine öffentliche Präsentation des fast kompletten TET-Teams vor der Zielgruppe „Lehrende“, die hier – wie gesehen – kommentiert wird.
Folgenden Fragen wird hiermit nachgegangen:
- War das eine funktionierende Fortbildung für Lehrkräfte?
- Welches Bild hinterlässt der Vortrag bzgl. der Anwendungsmöglichkeiten von SmartPhones und Tablets im Physikunterricht?
- Ist das TET-Projekt auf dem Weg, real umsetzbare Konzepte und neuartige Problemlösungen für den Unterricht zu DEMONSTRIEREN?
Im Verlauf des Vortrags gezeigte Features:
1.Servergenerierte QR-Codes, die auf Demo-URLs des Projekts verlinken.
Man kann positiv anmerken, dass im Auditorium anscheinend wirklich vereinzelt erstmalig ein QR-Code mit Hilfe der eigens beigestellten Tablets gescannt wurde. QR-Codes können nützlich sein, sind aber auch keine wirkliche Neuerung mehr. Das anscheinend selbst hergestellte QR-Code – Tool basiert wie vieles andere in diesem Projekt auf python/django. Das konnte anhand der (permanent?) sehr auskunftsfreudigen Serverfehlermeldungen unter den angegebenen Adressen auch Laien feststellen.
Funktionierende Alternativen – auch OpenSource – gibt es natürlich haufenweise.
2. Ein visuell einfach gehaltener Abstimmungsservice (Poll)
Mit Hilfe einer weiteren QR-Code-URL wurde in einem Online-Umfragetool die Frage gestellt: „Welches mobile Betriebssystem bevorzugen Sie?“
Das Abstimmungsergebnis selbst konnte natürlich nur eingeschränkt weiterverwendet werden.
Dieses Abstimmungs-Tool wurde danach als eine Möglichkeit der Kommunikation bezeichnet. Dass man andere Kanäle, wie soziale Web2.0-Plattformen und ähnliches prinzipiell im Browser verwenden kann, ist ebenso richtig. Ob das Projekt TET Konzepte anbieten kann, wie dieses sinnvoll im Unterricht zu integrieren ist, was das speziell mit Physikunterricht zu tun haben kann und ob die dafür notwendigen Technologien derzeit beherrscht werden, blieb offen.
3. „Portfolio-Funktion“ (Server basiert)
Das Projekt hat anscheinend eine Web basierte ePortfolio-Software installiert. Der Zugriff wurde Browser basiert gezeigt. (Keine Tablet oder SmartPhone Anwendung erkennbar.)
„Es gibt auch die Möglichkeit, dass der Lehrer in dieser Form Angebote machen kann.“
Das ist technisch sicher richtig. ePortfolio werden von vielen Seiten angeboten. Eine besondere Anbindung an Tablets und SmartPhones – entsprechend des Vortragstitels – war erneut nicht zu erkennen.
Ende des theoretischen Teils des Vortrags
4. Ein Planetariums-„IBE“, ferngesteuert, auch mit Hardware-Box
Für das Deutsche Technikmuseum/Spectrum in Berlin wird vom Projekt eine interaktive Installation vorbereitet. Das KANN mit Unterricht zu tun haben; als externer Lernort z. B., ist jedoch sicher nicht für den Einsatz im Schulalltag ausgelegt.
Die gezeigten Aufnahmen waren neu, die Idee eines Planetariums-IBE allerdings nur eine funktional eingeschränkte Neuauflage. Die Fernsteuerung geschah erst durch ein Tablet – es war von oben nicht zu erkennen, ob es überhaupt eine App war – und später durch eine Hardware-Box. Bis auf das Tablet selbst und das höher aufgelöste Bildmaterial gab es beide Technologien prinzipiell schon in 2005 zur Langen Nacht der Wissenschaften.
5. Ein Internet fähiges Messinterface.
… gibt es seit Jahren als Fertigpaket oder Bausatz zu kaufen.
Vermutlich lief das ebenso wie 4. einfach über eine Art Socket Server (Laut Browseranzeige wieder Python; das konnte man in den Fehlermeldungen lesen).
6. Messanwendungen/Apps für Android basierte Systeme (Fremdanbieter)
Die gezeigten Web-Fundstücke waren vielleicht die einzig direkt nutzbare Information für die anwesende Zielgruppe (LehrerInnen), sofern sie noch nicht selbst per Suchmaschine darauf gestoßen waren.
Ein in sich geschlossenes Unterrichtskonzept oder die Anwort auf die Sinnfrage waren aber nicht zu erkennen.
7. Verweise auf einen Messinterface-Hersteller und eine Fachzeitschrift.
Nützlich, wenn die LehrerInnen schon wissen, wie und warum sie das in ihrem Unterricht einsetzen werden. Viele werden sich aber genau das von dem Vortrag erwartet haben. Für die Links auf fremde „Federn“ hätte es keinen Vortrag gebraucht.
Ende des Vortrags
Ausgewählte Fragen des Auditoriums:
- (sinngemäß): „Was wurde davon schon im Schulunterricht eingesetzt?“
Antwort: „Für den Unterricht direkt haben wir da noch nicht viel gemacht… Wir entwickeln Demonstratoren … „ - (sinngemäß): „Wie realistisch ist eine komplette Ausstattung der Schulklassen mit solchen Geräten?“
Antwort: „Da gibt es verschiedene Ansätze …“ ( es folgte widerum ein Verweis auf andere Projekte und ‚JQuery‘; eines von mehreren Basis-FrameWorks für JavaScript). - (sinngemäß): „Außer der Möglichkeit, in Museen IBE fern zu steuern und außer der Tatsache, dass Schüler wahrscheinlich an sich schon fasziniert sind, wenn sie ein Tablet inder Hand halten, was ist aus Eurer Sicht – gemessen an dem Aufwand, den Ihr hier auch demonstriert habt – der Mehrwert?
Antwort: „... liegt der Mehrwert darin, dass es eine ganz breite Palette an Möglichkeiten gibt, Phänomene erfahrbar zu machen, die ich sonst vielleicht gar nicht erfahrbar machen kann, weil ich da gar nicht die Zeit für habe, in solche Kraftwerke zu gehen, die da interessant sind, oder diese ganzen Experimente aufzubauen und durchzuführen. es gibt ja in der Regel 2 Wochenstunden Physikunterricht, und wenn ich jetzt mein Gerät unterwegs z. B. dabei habe, und Dinge entdecke, die mich neugierig machen und dann sofort Angebote bekomme, dann bringt das einen riesigen Mehrwert. Dass ich auch die Motivation und das Interesse der Schüler mit aufgreifen kann. Da gibt es viele Punkte, bei denen ich eine Chance sehe. Natürlich hat das Entwicklungspotential. Wir müssen das erproben und und gucken, aber ich sehe da ein ganz breites Potential.„
Fazit:
- War das eine funktionierende Fortbildung für Lehrkräfte?
-> Die angebenen Links waren u. U. sinnvoll, für aktuellen eigenen Unterricht war nach eigener Aussage nichts dabei.
- Welches Bild hinterlässt der Vortrag bzgl. der Anwendungsmöglichkeiten von SmartPhones und Tablets im Physikunterricht?
-> Vermutlich: Apps lassen sich auf diesen Geräten z. B. für Messungen einsetzen … für Aufgaben, die sich eindeutig auch ohne diese speziellen Geräte umsetzen lassen. Trotz hohem Personalaufgebot funktioniert die Technik nur stockend.
- Ist das TET-Projekt auf dem Weg, real umsetzbare Konzepte und neuartige Problemlösungen für den Unterricht zu entwickeln?
-> Davon gab es NICHTS zu sehen. (Nach eigenem Bekunden ist das noch in der Entwicklung.)
Aus Sicht des Schulkontext-Teams hatte dieser Vortrag positive und negative Aspekte.
Positiv: TET geht einen äußerst konservativen Weg. Vorführungen wie diese zeigen nur, dass man mit den neuen Geräten das Gleiche machen kann, was man mit „alten“ Rechnern sowieso schon kann. Es zeigt Softwarefunktionen, die es schon vielfach gibt, ohne erkennbar Neues hinzuzufügen. Wie schon bei Vorträgen im Rahmen der Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (2012) wird vieles als „vorstellbar“ vorgestellt. Die nach eigener Aussage spannensten/sinnvollsten Funktionen (AR zum Beispiel), scheint das Projekt nicht zu demonstrieren. Das in diesem Kontext gezeigte Bildmaterial stammt augenscheinlich von anderen Projekten oder aus anderen Quellen. Der Hauptteil des Beschreibungstextes des VIP geförderten Projektes und die o. g. Beantwortung der dritten Frage zielen beide auf Augmented Reality Funktionen ab. Also Bild- und Ortserkennung kombiniert mit relevanten Daten. Hierfür werden Produktfotos der AR-App „Theodolite“ gezeigt. Augmented Reality für Bildungszwecke muss aber außerdem Kontexte liefern, sonst ist es nur ein Showelement. AR-Apps installieren kann jeder SmartPhone-Nutzer. Datengebundene Augmented Reality Funktionen haben wir im Herbst 2010 (im Rahmen von Centuplico), also noch vor TET, bereits Interessenten zeigen können. In SCHULKONTEXT haben wir dies, speziell auf den Schulunterricht ausgerichtet, bereits auch schon mehreren Interessenten live gezeigt. Noch mehr: dass was SCHULKONTEXT zeigen kann, ist in der Tat bereits die Möglichkeit eines durch Technik erweiterten Schulbuchs/Arbeitsbogens/beliebigen anderen Unterrichtsmaterials! Funktionen für Geodaten gestütze AR-Anwendungen waren dort schon dabei und werden in diesen Tagen weiter ausgebaut. Wie ein Schulbuch mit Technik erweitert werden kann, ist, zumindest in dem genannten Vortrag, noch nicht einmal angesprochen worden. Obwohl das Projekt sich diesen Namen gegeben hat.
Negativ: Ein umfangreich finanziell und durch die Presse gestütztes Projekt wie TET droht auf diese Weise pauschal das Interesse an der Integration von Tablets und SmartPhones in den Unterricht zu verbrennen. Das wird es leider auch uns schwerer machen.
Abschließend sei noch einmal betont, dass ausschließlich diese eine öffentliche Präsentation bzw. einer der Vorläufer beurteilt werden kann. Bisher hat das TET-Team geschätzt bis zu 1.800 Tagewerke in seine Ergebnisse investiert (s. o.). Der nicht-öffentliche Status des Projektes TET mag ein anderer als der Präsentierte sein.
In jedem Fall ist die Zielrichtung von Schulkontext.de – glücklicherweise – deutlich unterscheidbar und unsere Prototypen vorzeigbar. Zur Vorführung reicht EIN Mensch. Das nennen wir ein umsetzbares Konzept für Unterricht.